Abwechslungsreiche Kletterbäume für Hauskatzen, Laufräder für Hamster, mit Futter gefüllte Tennisbälle für Primaten in Zoos oder regelmäßiges Training mit unterschiedlichen Spielzeugen im Delphinarium – was für Säugetiere in der Tierhaltung bereits praktiziert wird, gewinnt auch innerhalb der Reptilienhaltung zunehmend an Bedeutung. Die Rede ist von „Environmental Enrichment“ also der Bereicherung der Umgebung, in der die Tiere leben. Das Ziel dabei ist, die Tiere kognitiv zu fördern um psychische Degeneration und dadurch ausgelösten Stress sowie stereotype Verhaltensweisen zu vermeiden.
Zwar unterscheiden sich Reptilien aufgrund ihrer Gehirnstruktur von Säugetieren und müssen daher nicht in einem besonders hohen Ausmaß durch abwechslungsreiche und aktive Beschäftigung seitens des Halters geistig ausgelastet werden. Auch treten stereotype Verhaltensanomalien bei Reptilien nicht so häufig auf wie bei Säugetieren. Dennoch ist dies kein Freifahrtschein dafür, Reptilien in auf das Nötigste reduzierten Behältnissen zu pflegen. Zwar ist es durchaus so, dass sich Reptilien bereits dann wohlfühlen, wenn ihre grundlegenden Bedürfnisse wie z.B. Vorzugstemperatur, Nahrung, Frischwasser, Luftfeuchtigkeit, Versteckmöglichkeiten etc. erfüllt werden, sie haben darüber hinaus jedoch auch noch weitere Ansprüche an ihre Umgebung, die in der Terraristik erfüllt werden sollten. Ansonsten leiden die Tiere womöglich unter Stress, der gesundheitliche Folgen haben kann, ebenso wie beim Nichteinhalten der grundlegenden Haltungsparameter.
Sollen in Terrarien gehaltene Reptilien ihr natürliches Verhalten zeigen, sollte ihr künstlicher Lebensraum so eingerichtet werden, dass diese natürlichen Verhaltensweisen auch ausgelebt werden können. Im Februar 2015 veröffentlichte MADER et al. einen wissenschaftlichen Artikel im „Clinician’s Brief“ zu diesem Thema, in dem drei wesentliche Ziele einer erfolgreichen Umgebungsanreicherung genannt werden:
1. Förderung eines natürlichen, artspezifischen Verhaltens .Reptilien mögen zwar (je nach Spezies) nicht zu überdurchschnittlichen kognitiven Fähigkeiten fähig sein, dennoch werden die geistigen Fähigkeiten durch die Ermöglichung einer eigenen Entscheidung durchaus gesteigert. Füttert man Reptilien z.B. immer nur von der Pinzette oder bietet ihnen das Futter immer an derselben Stelle im Terrarium an, können sie nicht ihr arttypisches Futter-Such- oder Beute-Jagd-Verhalten ausleben. Nicht nur die Gefahr einer physischen Veränderung (Verfettung aufgrund mangelnder Bewegung), sondern auch einer geistigen Degeneration sind dadurch gegeben. Es ist zwar praktisch, wenn Tiere daran gewöhnt sind, Futter von der Pinzette zu nehmen (z.B. zur Verabreichung von Medikamenten), dennoch sollten Reptilien auch ihr arttypisches Verhalten ausleben können. Beispielsweise durch die Platzierung von Futtertieren in abgetrennten Bereichen des Terrariums oder auf Ästen bzw. durch das Verteilen von Futterpflanzen im Terrarium.
2. Schaffung der Möglichkeit, das natürliche Verhalten auszuleben.
3. Dem Tier ermöglichen, selber Entscheidungen zu treffen.
Auch eine Fütterung zur Hauptaktivitätszeit und in der natürlichen Lebensraumnische des jeweiligen Reptils fördert das psychische Wohlbefinden des Tieres, da es nicht in seiner artspezifischen Ruhephase gestört wird und seine Futter dort erbeuten kann, wo es dies auch in freier Natur tun würde (z.B. am Boden, im Wasser oder im Geäst).
Ein anderes Beispiel ist die Fütterung von Schlangen mit Frostfutter. Dies ist zwar durchaus auch bei mir gängige Praxis, jedoch erlebe ich bei Neuzugängen häufig, dass der Beutegriff und insbesondere der Tötungsreflex verkümmert sind, weil die Vorbesitzer z.B. das aufgetaute Futtertier regungslos ins Terrarium legten. Die Tiere lernten dadurch mit der Zeit, dass von der Beute keine Gefahr ausgeht und verschwendeten keine unnötige Energie mehr auf den Beutefang. Aus meiner Sicht ist es für das Tier aber wesentlich abwechslungsreicher, wenn sie dem Frostfutter erst einmal ein Stück weit nachjagen müssen (MADER et al. beschreibt das Legen einer Duftspur im Terrarium) und ihre Beute am Ende auch „töten“ müssen (provoziert durch leichtes Zupfen am leblosen Futtertier). Dadurch erlangen die Tiere meiner Erfahrung nach mit der Zeit auch wieder ihre natürlichen Verhaltensweisen zurück.
In Racks oder anderen sterilen Boxen können Reptilien ihr natürliches Verhalten kaum ausleben. Laut MADER et al. sind diese künstlichen Lebensräume nämlich „psychisch steril“. Lediglich wenn Tiere (z.B. junge Königspythons) das Futter nicht anders akzeptieren, ist diese in solchen Ausnahmefällen durchaus stressreduzierte Art der Haltung empfehlenswert.
Das Vorhandensein von Artgenossen im Terrarium kann manche Arten zu sozialer Interaktion und somit kognitiver Leistung ermutigen, während dies für andere Arten (oder wenn die Chemie zwischen den Individuen nicht stimmt) zu gesundheitsschädlichem Stress führen kann. Hier muss der Halter die Bedürfnisse des jeweiligen Tieres kennen und die Umgebung entsprechend gestalten. Auch der Sichtkontakt zu anderen Tieren in der Nähe des Terrariums sowie zu Menschen sollte dahingehend beachtet werden. Manche Reptilien finden es meiner Einschätzung nach durchaus interessant, wenn sie in Kontakt zu Menschen treten können, während anderen dies besser nicht regelmäßig zugemutet werden sollte. MADER et al. beschreibt interessante Beispiele des Trainings von Reptilien. Insbesondere manche Panzerechsen und Warane scheinen sich durch Belohnung trainieren zu lassen. Der Kontakt zu den Menschen im Rahmen des Trainings ist laut MADER et al. ebenfalls eine Bereicherung für die Tiere.
Abschließend die von MADER et al. genannten Grundlagen für ein erfolgreiches Environmental Enrichment:
- Dem Tier die Möglichkeit geben, sein natürliches Verhalten auszuleben.
- Dem Tier die Möglichkeit geben, selber Entscheidungen zu treffen.
- Dem Tier ein Gefühl der Sicherheit geben.
- Dem Tier Versteckmöglichkeiten, Höhlen, Äste, Steine etc. bieten.
- Die eigenständige Gedankenleistung des Tieres fördern.
Literatur:
Douglas MADER, MS, DVM, DABVP (Canine & Feline, Reptile & Amphibian), DECZM (Herpetology); Environmental Enrichment for Reptiles; Clinician’s Brief; Februar 2015
Douglas MADER, MS, DVM, DABVP (Canine & Feline, Reptile & Amphibian), DECZM (Herpetology); Environmental Enrichment for Reptiles; Clinician’s Brief; Februar 2015